Das Leben mit links meistern

Artikel über eine umgeschulte Linkshänderin und eine gelassene Linkshänderin. In Jobfit 4, 2006

Egal ob im Klassenzimmer, oder im Restaurant: unsere Gesellschaft ist auf Rechtshänder eingestellt. Linkshänder haben es immer noch schwer.

Keiner hat Verdacht geschöpft, nicht einmal Agnes selber. Zwei Jahre lang zeichnete sie an einer privaten Kunstschule, mühte sich mit Perspektive, Linienführung und Stil. Ihre Dozentin sprach von Blockaden, die sie überwinden müsse. So arbeitete Agnes, bis sie nicht mehr konnte: Sehnenscheidenentzündung. Fast drei Monate lang durfte sie ihre rechte Hand nicht mehr belasten.

Und auf einmal geschah es – Agnes erledigte alles mit links. Sogar ihre Dozentin äußerte sich optimistisch. Es habe sich etwas gelöst. Agnes sei nun auf dem richtigen Weg. Aber kaum, dass sie wieder ihre rechte Hand gebrauchen konnte, war Schluss mit den Erfolgsmeldungen. Bald darauf brach sie die Ausbildung ab. Niemand war auf die Idee gekommen, dass Agnes mit rechts alles schwerer fällt.

Zeigt her eure Hände

Anfang dieses Jahres besuchte Agnes einen Workshop bei Marina Neumann zum Thema Händigkeit. Da wurde ihr vieles klar. „Ich habe mich in so vielen Punkten wieder erkannt, das war unglaublich“, erinnert sich die 25-jährige. „Trotzdem wäre ich nie im Leben daruaf gekommen, dass meine Probleme mit meiner Linkshändigkeit zu tun haben könnten.“ Schon als Kind hatte sie sich immer irgendwie anders gefühlt. Sie empfand sich als Außenseiterin, litt darunter, permanent um Anerkennung kämpfen zu müssen.

„Erst seit ich von meiner Linkshändigkeit weiß, habe ich das Gefühl, zu mir stehen zu können,“ sagt Agnes. „Auch wenn es komisch klingt: Vorher hatte ich das Gefühl, gar nicht richtig zu wissen, wer ich bin.“ Für die Berliner Psychologin Marina Neumann, die sich auf Linkshändigkeit spezialisiert hat, klingt dies nicht komisch, sondern wie die ganz normale Reaktion eines Menschen, der in seiner Händigkeit unterdrückt worden ist.

Links ist da, wo der Daumen rechts ist.