Ich bin 51 Jahre alt und habe vor einem halben Jahr zum zweiten Mal schreiben gelernt mit der linken Hand. Darüber freue ich mich an jedem einzelnen Tag.
Mir war schon immer klar, dass ich Linkshänderin bin. Mein Körper signalisierte mir das einfach ständig, die linke Hand drängte immer vor, aber ich pfiff sie zurück. Was das Schreiben anbetrifft, da hatte die linke Hand es auch bereits eingesehen, kein Wunder nach 45-jährigem Schreiben mit rechts. Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, diesen Eingriff in meine Persönlichkeit, den Lehrer und Eltern bei meiner Einschulung vorgenommen hatten, rückgängig zu machen. In aller Deutlichkeit: dieser Eingriff von außen in die Arbeit meines Gehirns, diese mir „von außen zugefügte Behinderung“ ( zitiert nach J.B. Sattler), geschah nach bestem Wissen und Gewissen meiner Erziehungsberechtigten. Wie falsch es war, also wie weit mich diese Umschulung eingeschränkt hat, das war mir lange nicht klar.
Vor einem halben Jahr habe ich das Buch von J.B. Sattler: “ Der umgeschulte Linkshänder.“ durchgelesen, besser gesagt: verschlungen – und war platt. Fast alle meine Macken, die ich allesamt für individuell hielt, zählt Frau Dr. Sattler auf – als Folge der Umschulung auf die
nicht – dominante Hand. Es hat mich z.B. immer bedrückt, dass ich schneller erschöpft war als die KollegInnen, dass ich bei jeder Fortbildung immer schon aufs Zimmer ging, während die anderen noch zum Abschluss des Tages auf ein Bier loszogen.
Meine Entscheidung für die Rückschulung fiel deshalb auch ganz schnell, nachdem ich ein oder zwei Nächte darüber geschlafen hatte.
Das Schreiben mit der linken Hand hat mir von Anfang an ungeheuer viel Spaß gemacht. Ich hatte gerade eine Woche frei und habe sechs Tage für mich alleine geübt, habe seitenlang geschrieben. Als die freie Woche zu Ende ging, habe ich mich endgültig entschieden
und bereits im Vorfeld den KollegInnen eine E-mail geschickt und ihnen von diesem Plan erzählt.
Ich hatte in der Zeit der Umstellung Kontakt mit der Linkshänderberatungsstelle und habe mich im Abstand von einigen Wochen mehrmals telefonisch von Frau Neumann beraten lassen. Vor allem die Tipps für kleine, aber relevante Alltagsfragen haben mir sehr geholfen, die Umstellung erleichtert und die schwierige Phase verkürzt. Ich konnte offene Fragen zum alltäglichen Umgang mit Links- und Rechtshändigkeit durchsprechen.
Vom ersten Tag an hatte ich das Gefühl, mehr bei mir selbst zu sein. Schon nach kurzer Zeit fühlte ich mich abends nicht mehr unangenehm erschöpft, sondern angenehm müde. Meine Konzentrations- und Leistungsfähigkeit verbesserte sich. Ich bin einfach produktiver geworden. Meine Schrift, heute zwar noch eine etwas krackelige Kinderschrift, ist jetzt schon
regelmäßiger und harmonischer als die frühere. Die Reaktionen der Menschen um mich herum sind eigentlich nur positiv. Interessant:
Vor allem meine vier Geschwister, alle Rechtshänder, haben immer gespürt,, dass es irgendeine Sache geben musste, die bei mir nicht rund läuft. Sie reagierten jetzt alle spontan komplett begeistert.
Zurzeit passieren mir wieder die gleichen Buchstaben- und Zahlenverdreher wie im ersten Schuljahr. Ich weiß beim Schreiben manchmal nicht mehr, wie rum geht nun das S, wie rum das Fragezeichen? (Wenn ich’s dann sehe, weiß ich’s aber.) Es passieren mir manchmal auch gehäuft Versprecher, vor allem in Stresssituationen. „Ich als umgeschulte Linkshänderin!“, erkläre ich den Leuten dann kurz. Meist wird geschmunzelt und fertig, und ich weiß: Diese Probleme habe ich vor 45 Jahren schon mal gemeistert.
Aber diesmal fühlt’s sich richtig gut an!!
Monika Ahlrichs ( 02.05.10 )